Ein Beitrag von Sara Müller
Es geht uns doch allen so, wenn wir erstmal auf ein bestimmtes Thema aufmerksam geworden sind, dann sehen wir es überall.
Am Morgen stelle ich mir die Frage, wohin ich dieses Jahr in den Urlaub fahren möchte. Im Laufe des Tages scheint es dann so, als hätte ein findiger Werbefachmann diese Frage gehört. Werbung für einen Strandurlaub in Ägypten hängt an der Bushaltestelle, die Kollegin auf der Arbeit erzählt von ihrem Plan dieses Jahr in Slowenien wandern zu gehen und ein Prospekt von Kreuzfahrten nach Südamerika fällt aus der Zeitung.
Mit geht es mit Löffeln so. Sie sind überall!
Vor gut einem Jahr besuchte ich mit meinen Kolleginnen ein Museum. Im Grunde ist es ein sehr altes Museum. Wie viele andere ethnologische Museen auch, ist es in den letzten Jahren umgestaltet und umbenannt worden. Wir wollten uns einen Eindruck davon machen, wie das den Macher*innen gelungen ist. Zudem interessierte uns die Frage, wie dort mit der Suche nach den Provenienzen von Objekten aus der Kolonialzeit umgegangen wird. Bei der Provenienzforschung geht es darum, zu erforschen woher Objekte ursprünglich stammen, sowie die verschiedenen Etappen der Objektbiographie zu beleuchten. Bei der Erforschung von Objekten aus der Kolonialzeit ist hierbei die Frage des Erwerbs zentral.
Der Empfang im Museum war sehr herzlich, der Leiter selbst begrüßte uns. Uns wurde das Konzept erklärt, die Ausstellung gezeigt und am Ende hatten wir noch Zeit ein paar Fragen zu stellen. Eine unserer Fragen war natürlich die nach den Provenienzen der Objekte. Selbstbewusst bekamen wir die Antwort, jede einzelne Provenienz der Objekte sei geklärt. Wir stutzten, jedes einzelne Objekt hatte eine nachzuvollziehende Provenienz? Das war ja zu schön, um wahr zu sein! – Im weiteren Gespräch stellte sich dann allerdings heraus, dass der Kollege uns nicht ganz verstanden hatte. Ähnlich wie in allen Sammlungen, die koloniale Objekte beherbergen, war auch hier bei den meisten nicht klar, wie diese erworben wurden. Auf weitere Nachfrage erklärte uns unser Gegenüber dann, dass es aber ja auch nicht so wichtig sei, jeden Löffel einzeln zu untersuchen. Mich hat diese Aussage nie ganz losgelassen. Warum sollte ein Löffel ein banales Objekt sein? Warum sollte es weniger wichtig sein, die Provenienz eines Löffels zu erforschen als die eines anderen Objektes?
Der Löffel an sich ist einer der diversesten Gegenstände, über den ich jemals nachgedacht habe. Es gibt nicht nur Teelöffel und Esslöffel. Es gibt Kellen, Suppenlöffel, Zuckerlöffel und Löffel für Marmelade. Zudem gibt es Löffel in unglaublich vielen verschiedenen Größen, die man als Maß beim Backen verwendet. Es gibt Plastiklöffel, mit denen man angeblich am besten Eier essen kann. Löffel sind Teil eines Salatbestecks. In ihnen präsentiert man ‚hors d’œuvre‘ oder Kaviar. Es gibt Butterlöffel, Cocktaillöffel in verschiedenster Ausführung, Eislöffel, Joghurtlöffel oder den sogenannten Gourmetlöffel, der sich sowohl zum Filetieren von Fisch als auch zum Aufnehmen von Soße eignet. Grapefruitlöffel, Honiglöffel, Espressolöffel, Dessertlöffel oder Nutella-Löffel finden sich in den Haushalten dieser Welt. Auch ist der Löffel aus ganz unterschiedlichem Materialien wie Silber, Keramik, Plastik, Holz, Perlmutt, Edelstahl oder Porzellan hergestellt. Oftmals unterscheidet sich der Löffel sowohl in seiner Funktion als auch in seinem Material zwischen den verschiedenen Nationen dieser Welt. In Japan gibt es einen Löffel der eigens für das Essen von Ramen geeignet ist. Und auch lokal unterscheidet sich die Verwendung eines Löffels. Man denke nur an den kleinen Sahnelöffel aus Ostfriesland. Dabei wird die Sahne mit dem Löffel vom Rand aus in den Ostfriesentee gegeben, sodass das berühmte „Wulkje“, die Sahnewolke, entsteht. Diese Liste lässt sich ohne Frage noch um einiges erweitern. Doch auch schon so stellt sich die Frage, warum ein Objekt, das so divers ist und so viele Funktionen einnehmen kann, nicht einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollte?
Einige Wochen später war ich zu Besuch in Hamburg. In zwei Museen stieß ich gleich auf zwei Löffel-Sammlungen. Die erste befand sich in der Ausstellung „Raubkunst?“ im Museum für Kunst und Gewerbe. Es ist allseits bekannt, dass während des Nationalsozialismus jüdisches Eigentum von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Unter anderem auch jede Menge Silber. In großer Anzahl und ohne jegliche Hinweise auf ihre Besitzer*innen landete Silber auch in diesem Museum. Darunter sind auch Löffel aller Art. Tausende von ihnen in allen Formen, Größen und Farben liegen in der Ausstellung und in den Depots des Museums nebeneinander. Bei eigentlich allen ist das Silber angelaufen.
Einer weiteren Kollektion von Löffeln begegnete ich beim Besuch der Ausstellung „Ausgezeichnet: Künstlerinnen des Inventars“ im Hamburger MARKK. Eine Ausstellung die einen Blick auf die weiblichen Angestellten des Museums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirft. Vorgestellt werden Frauen, die als Malerinnen maßgeblich zur Dokumentation der Sammlung des Museums beitrugen. In der Ausstellung wurden einige der kolorierten Zeichnungen zusammen mit den Objekten selbst ausgestellt. Eine Objektgruppe, die dabei besonders präsent war, waren Löffel. Zwei randvolle Vitrinen präsentierten die Löffelsammlung der Künstlerin Marie Enderlin. An der Wand dahinter waren die bunten und akkuraten Zeichnungen der Löffel angebracht.
Das Sammeln von Löffeln ist nicht ungewöhnlich. Nicht nur in Museen befinden sich zuweilen riesige Sammlungen. Bis heute sind die Souvenirstände dieser Welt mit Löffel ausgestattet. Das ist kein neuer Trend, im Internet kann man sogenannte „Vintage-Löffel“ überall kaufen. Kein Touristenziel dieser Welt fehlt dabei. Sei es der Rote Platz in Moskau, ein Koala aus Australien oder die Niagarafälle in den USA. Jede touristische Destination wartet mit einer eigenen Kollektion auf. Dabei werden die Löffel nicht am Esstisch verwendet, sondern sind ausschließlich Sammlungsgegenstände. Sie zeugen von den Reisen der Besitzer*innen und hängen oft an eigens dafür hergestellten hölzernen Brettchen.
Auch eine Freundin von mir sammelt Löffel. Dabei handelt es sich aber weniger um Sammlungsgegenstände, sondern eher um die etwas antiquierte Tradition der Aussteuer. Ich kann mich noch bis heute an ihr geschocktes Gesicht erinnern, als ihre Oma ihr zur Konfirmation einen kleinen Löffel schenkte. Mittlerweile ist es ein ganzes Besteck-Set geworden. Verwendet hat sie es glaube ich noch nie.
Aber auch ich kann mich von dem Vorwurf Löffel zu verschenken nicht ganz freisprechen. Neulich habe ich in einer Koch-Show gehört, dass Pasta-Soßen vor allem mit Holzlöffeln umgerührt werden sollen. Ich muss gestehen, mich hat das durchaus überzeugt. Das Anbraten der Zwiebeln fühlt sich irgendwie besser an und man muss auch keine Angst mehr um die Beschichtung des Topfes haben. Ich bin so begeistert, dass ich einer Freundin in England jetzt auch einen Holzlöffel gekauft habe. Er geht nächste Woche in die Post, damit er zu ihrem Geburtstag da ist. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass sie eine passionierte Köchin ist und seit Jahren Gewürzmischungen und Kuchenformen zwischen Göttingen und Nottingham hin und her geschickt werden.
England und der Löffel ist sowieso ein ganz eigenes Thema. Vor einigen Jahren habe ich dort in einem Büro gearbeitet. Die klassische Frage zu Beginn eines Arbeitstages war dabei immer: „Cuppa“? Was so viel heißen soll wie: Möchtest du auch eine Tasse Tee? In England wird der Tee klassisch mit Milch getrunken. Damit diese sich gut verteilt wird einmal umgerührt. Das Besondere dabei ist, dass nicht jede/r einen eigenen Löffel bekommt, sondern einer für alle da ist. Er wandert von Tasse zu Tasse, sodass jeder einmal umrühren kann. Bis heute ist mir unklar, ob es eine Löffelknappheit im Land gibt oder nie jemand darin einen Sinn gesehen hat, dass jede/r seinen oder ihren eigenen Löffel bekommt.
Diese Beispiele haben gezeigt, dass ein Löffel doch nicht so ein banales Objekt ist, wie lapidar dahingesagt wurde. Dass es sich durchaus lohnt, die Löffel dieser Welt einzeln zu untersuchen. Und daher möchte ich in bester Fleabag-Manier schreien: Spoons are everything! – Sie erzählen ganz unterschiedliche Geschichten: Sei es die vom Genozid an jüdischen Mitbürger*innen in Deutschland, vom Tourismus des 20. Jh. oder Frauen als Künstlerinnen in Museen. Schaut man gesellschaftsgeschichtlich auf den Löffel, dann offenbaren sich Generationenkonflikte, dass Freizeitverhalten der Millennials oder das aktuelle Verhalten der Festlandeuropäer kurz über England den Kopf zu schütteln. Und natürlich darf man nicht vergessen, welch kulinarische Vielfalt der Löffel widerspiegelt. In diesem Sinne lohnt es sich jeder Zeit die Löffel aus der Kolonialzeit noch mal neu zu betrachten. Auch sie werden viele Geschichten zu erzählen haben.
© Fotos Sara Müller
Weiterführende Links für interessierte Leser*innen:
Zur Debatte der Provenienzforschung kolonialzeitlicher Objekte: Förster/Edenheiser/Fründt/Hartmann: Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte.
Zur Ausstellung „Raubkunst“ im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg finden sich hier mehr Informationen.
Und hier zur Ausstellung „Ausgezeichnet: Künstlerinnen des Inventars“ im MARKK in Hamburg.
Sara Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Verbundprojekt PAESE und assoziiertes Mitglied im Kolleg „Wissen | Ausstellen“. Sie erforscht die Handelswege und kolonialzeitlichen Netzwerke, die Objekte in die Ethnologische Sammlung der Universität Göttingen gebracht haben.
Der Beitrag wurde redaktionell betreut von Johanna Strunge, Doktorandin am Kolleg „Wissen | Ausstellen“.
Das finde ich absolut überzeugend: Sofort fallen mir weitere Löffel-Geschichten ein. Meine Schwiegermutter sammelte – oder sagen wir besser klaute – Löffel auf Flügen, vorzugsweise von Lufthansa. Ich selbst habe ein Marmeladenlöffel-Trauma, da ich – obwohl ich mich für einen höflichen Menschen halte – diesen beim Frühstück konsequent übersehe und damit die Gepflogenheiten meiner Gastgeber ignoriere. Ja wirklich: Löffel sind tolle Sammlungs- und Forschungsgegenstände. Ob und warum der Löffel aber vom Museum für banal gehalten wird oder aber die Provenienzforschung selbst, bleibt in diesem Artikel offen. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung?