Ein Beitrag von Annika Wellmann
Eigentlich sollte die Ausstellung „KinoSaurier. Zwischen Fantasie und Forschung“ vom 4. Dezember 2020 bis 25. Mai 2021 im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover gezeigt werden. Wegen hoher Corona-Infektionszahlen musste sie aber in den ersten Monaten geschlossen bleiben,1 im Gegenzug wurde das Ende der Ausstellung um drei Monate bis 29. August hinausgeschoben. Vom 20. Oktober 2021 bis 18. April 2022 wird die Schau dann im Naturhistorischen Museum Wien gastieren.2
Verlängerung am Premierenort – wenn auch den pandemiebedingten Schließzeiten geschuldet – und Umzug in ein weiteres großes, zentral gelegenes Museum zeugen davon, dass bei einer Dinoausstellung mit einem erheblichen Publikumsinteresse gerechnet wird. Nicht zu Unrecht, denn Dinosaurier sind in der Populärkultur sehr präsent und erfreuen sich großer Beliebtheit. Seit über 100 Jahren bevölkern sie Leinwand und Bildschirm, oft als angsteinflößende Riesenechsen, manchmal als knuffige Geschöpfe, stets als fantastische Urzeittiere. Diese Popularität machte sich das Niedersächsische Landesmuseum Hannover zunutze, als es 2020/2021 auf seinem Außengelände mit lebensgroßen Dinosauriermodellen für die Ausstellung warb.
Die Ausstellung KinoSaurier vollzieht nach, wie die Naturwissenschaft seit dem 19. Jahrhundert Dinosaurier erforscht und imaginiert und wie der Film sie präsentiert und animiert – und welche Bilder, welches Image und welche Vorstellungen von den ausgestorbenen Urzeittieren damit zur Zirkulation gebracht wurden. Diesen Doppelstrang Wissenschaft/Film vollzieht die Schau anhand der Filmgeschichte von zumeist US-amerikanischen Produktionen mitsamt ihren Tricktechniken und Spezialeffekten nach. Immer, so ein Leitgedanke, spielte auch die Fantasie eine nicht unbedeutende Rolle bei der Konstruktion der hier zur Anschauung gebrachten Dinosaurierbilder.
An den Beginn stellt die Ausstellung naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse. Anhand relativ rezenter Fossilienfunde eines Langhalssauriers, des Europasaurus, am Harzrand führt sie in die paläontologische Dinosaurierforschung ein. Neben Rekonstruktionen lebensgroßer Dinosaurierskelette werden auch Fossilien gezeigt. Die Ausstellung präsentiert sodann mit Zeichnungen aus dem Genre der Paläo-Kunst eine Methode der bildlichen Darstellung dieser ausgestorbenen Tiere. Paläo-Kunst entsteht – mal mehr, mal weniger – in Anlehnung an wissenschaftliche Erkenntnisse, füllt Wissenslücken mit Fantasie auf und kann als ‚Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft‘ interpretiert werden. Paläo-Kunst entwickelte sich im Zeitraum zwischen 1820 und 1899, der in der Ausstellung als „Pionier-Periode“ der Dinosaurierforschung bezeichnet wird. Gekennzeichnet war diese durch die Entdeckung und Erforschung von Fossilien, die Konstruktion von Modellen, die in den damals in Europa und den USA neu entstehenden Naturkundemuseen einen regelrechten Dino-Hype hervorriefen, die Verwissenschaftlichung der Paläontologie und Charles Darwins Begründung der Evolutionslehre.
Der zweite Ausstellungsteil macht darauf aufmerksam, dass Dinosaurier-Motive und -Narrationen ihre literarischen Ursprünge in den Lost-World-Geschichten haben, deren bekanntester Vertreter wohl der Autor Jules Verne ist. Highlight dieses Ausstellungsteils ist der Zeichentrickfilm Gertie the Dinosaur, der von einer humorvollen dressierbaren Dinosaurierdame handelt. Gertie ist nicht nur der erste Film über eine Urzeitechse, sondern er begründete auch die US-amerikanische Tradition des kommerziellen Zeichentrickfilms. 1914 entstanden, fällt er in die „Klassische Periode“ (1899–1934) der Dinosaurierforschung, in der zunehmend große Dinosaurierskelette in Naturkundemuseen gelangten und die Echsen grundsätzlich eher als kaltblütige Reptilien imaginiert wurden. In dieser Periode fand auch eine Großexpedition in das koloniale Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) statt, bei der die Fossilien eines Brachiosaurus geborgen und nach Deutschland gebracht wurden.3
Ebenfalls in dieser Periode kam es auch zu gewichtigen Neuerungen in der Trickfilmtechnik. Mit der Entwicklung der Stop-Motion-Technik eroberten die Dinosaurier die Leinwand. In der Ausstellung wird diese Form der Objektanimation, bei der verkleinerte Modelle in einem realen Raum verwendet und durch eine fotografische Aufnahmetechnik abgelichtet werden, in einem dritten und vierten Bereich anhand von Beispielen eingehend erklärt. Im Zentrum stehen dabei die Verfilmung von Arthur Conan Doyles The Lost World (1925) und King Kong (1933).
Als „Klassische Moderne“ der Dinosaurierforschung bezeichnet die Ausstellung die Jahre 1935 bis 1968, mit deren Erläuterung sie den fünften Bereich eröffnet. Nun hielten neue naturwissenschaftliche Theorien wie jene über Plattentektonik und Kontinentaldrift Eingang in die Paläontologie, die Funddichte nahm zu und Dinosaurier wurden zunehmend als agile und dynamische Tiere verstanden. In der breiteren Öffentlichkeit hielt sich indes die Idee von nicht anpassungsfähigen Giganten, die zur „Sackgasse der Evolution“ geworden seien.
Recht detailliert geht die Ausstellung hier auf den tschechoslowakischen, in Stop-Motion-Technik gedrehten Film Reise in die Urzeit (1955) ein, für den der Regisseur Karel Zeman eng mit dem Paläontologen Joseph Augusta zusammenarbeitete und die Ergebnisse des Paläo-Illustrators Zdeněk Burian aufgriff.
In der nun folgenden Periode der „Dino-Renaissance“ (1969–1996) kam es sowohl in der Dinosaurierforschung als auch in der Filmtechnik zu grundlegenden Neuerungen. In der Forschung fand ein Paradigmenwechsel des Dinosaurierbildes statt. Nun wurde auf das Sozialverhalten der in dynamischen Gruppen lebenden Tiere fokussiert. Computergestützte Verfahren ermöglichten zudem neue Zugänge zu fossilem Material.
Computertechnologie hielt auch beim Film Einzug und verbesserte die animationstechnischen Qualitäten der Bildstreifen. Die Ausstellung geht im sechsten Bereich zunächst auf den Dino-Western Gwangis Rache (1969) und die japanische (später auch US-amerikanische) Godzilla-Reihe (ab 1954) ein. Mit Prehistoric Beast (1985) präsentiert sie einen Film, bei dem das Stop-Motion-Konzept durch Computersteuerung zum Go-Motion-Verfahren weiterentwickelt wurde. Dabei werden die Modelle von computergesteuerten Motoren geringfügig bewegt und die Bewegungen erscheinen fließender. Der bislang wohl erfolgreichste Dinosaurier-Film Jurassic Park (1993) ist hier nicht nur mit einer Filmsequenz vertreten, sondern er wird auch durch eine großfläche Vitrine begleitet, die zahlreiche Modelle und Fossilien präsentiert – darunter einen Originalknochen eines Tyrannosaurus rex, der auch in Jurassic Park ein wichtige Rolle spielt. Ein Modell, das den Fleischfresser offenbar in Angriffspose darstellt, lädt die Besucher*innen zum Fotografieren ein.
Alsdann führt die Ausstellung den Begriff „Horror light“ ein, der die Verniedlichung ursprünglich als gruselig präsentierter Figuren beschreibt, und ordnet ihm entsprechende Dino-Filme zu. Die Idee des „Horror light“ kam in den 1960er und 1970er Jahren auf, als Pädagog*innen und Psycholog*innen dafür plädierten, Kinder ohne Angst aufwachsen zu lassen. Gezeigt werden in diesem Zusammenhang der Zeichentrickfilm In einem Land vor unserer Zeit (1988) und Die Flintstones (1994).4
Zum Schluss erklärt die Ausstellung, wie Dinosaurier in jüngerer Zeit zum Thema von Dokumentarfilmen wurden und diese die Tiere zwar mit Hilfe unterhaltsamer Geschichten, aber „wissenschaftlich jeweils aktuell darstellen – mit Federn, Farben und nach neuen paläontologischen Erkenntnissen“.
Die Schau bringt unterschiedliche Objekte und Formate zusammen. Eine zentrale Stellung erhalten stets Rekonstruktionen (lebens)großer Dinosaurierskelette, die in der Mitte des Raumes stehen oder ihn flankieren. Ihre erhöhte Positionierung auf Präsentationstischen und dramatische Beleuchtung von unten lässt sie zusätzlich eindrucksvoll wirken. Wenngleich die Inszenierung auf diese Weise wahrscheinlich in erster Linie die imposante Erscheinung dieser Objekte zu unterstreichen sucht, lenkt sie damit zugleich auch den Fokus auf die Dinosaurier vorrangig als zentrale Exponate und ‚authentische‘ Forschungsgegenstände. Darum herum gruppieren sich Filmsequenzen, denen ebenfalls viel Raum zugestanden wird, Kinoplakate und Werke der Paläo-Kunst, Objekte, die Animationstechniken und Spezialeffekte nachvollziehbar machen, sowie Portraits und Biographien einschlägiger Regisseure (in der Ausstellung sind aus diesem Bereich ausschließlich Männer vertreten).
Die Ausstellung nimmt eine Periodisierung entlang von Verschiebungen bzw. Paradigmenwechseln in der Dinosaurierforschung vor, die auch ein strukturierendes Expositionselement bildet. Doch die Entwicklung der Techniken, Narrative und Motive der Dinosaurierfilme ist damit nicht deckungsgleich. Einzelne Abschnitte lassen sich folglich nicht klar voneinander abgrenzen, es kommt zu Überschneidungen. Wandfarben helfen hier nur wenig. Ihr Wechsel macht der Besucherin zwar nicht nur im Hinblick auf die Abfolge von Jahreszahlen und Zeiträumen, sondern auch auf der Ebene der Gestaltung bewusst, dass sie in der Ausstellung voranschreitet. Dennoch bietet die Farbgestaltung kaum zeitliche Orientierung. Der Besucherin kann bewusst werden, dass exakte Periodisierungen, die in zwei verschiedenen Feldern zugleich zur Anwendung kommen, wohl einfach nicht möglich sind. Und das kann gut sein.
Kinder lieben Dinos. Dementsprechend versucht die Ausstellung auch Kinder einzubeziehen. Mit dem Maskottchen Iggy spricht sie sie direkt an. Iggy erscheint stets mit einer Sprechblase, die Texte für Kinder enthält – doch für Kinder in welchem Alter? Das ist nicht ganz klar und wird auch an keiner Stelle erläutert. Zum Vorlesen für jüngere Kinder sind die Texte – obwohl in einfacher Sprache gehalten – nicht geeignet, denn die Inhalte sind noch zu abstrakt und es gibt keinen direkten Bezug zu Objekten, die Kinder während des Zuhörens betrachten könnten. Offenbar richten sich die Texte an Kinder, die bereits lesen können und darüber hinaus über ein ausreichendes Maß an Leseerfahrung verfügen. Die Texte sind durchaus gehaltvoll und sollten auch von Erwachsenen zur Kenntnis genommen werden, da sie wichtige ergänzende Informationen zu den Haupttexten enthalten. So ist beispielsweise aus einer Sprechblase zu erfahren, dass der erste Tonfilm 1927 in die Kinos kam.
Die Ausstellung stellt zudem auf eine passive Rezeption ab, die für Kinder in der Regel wenig attraktiv ist. Nun ließe sich einwenden, dass der großzügig ausgebreitete Kinostoff doch immerhin zum Filmschauen einlädt. Allerdings handelt es sich hier um historisches Filmmaterial, das auf Basis heutiger Sehgewohnheiten nicht immer leicht konsumierbar ist und auf Kinder schlichtweg langweilig wirken kann. Hands-on-Exponate, die das Publikum aktiv involvieren und sich für Kinder sehr gut eignen können, finden sich lediglich im Bereich der frühen Animationstechniken, der u.a. optische Geräte wie ein Mutoskop (das durch das Zeigen schnell aufeinanderfolgender Bilder den Eindruck einer Filmsequenz hervorruft) präsentiert, die ausprobiert werden können.
Die Ausstellung zielt zwar nicht auf die Vermittlung eines positivistischen Dinosaurierbildes. Vielmehr zeigt sie zum einen, was die naturwissenschaftliche Forschung mittels welcher Methoden über die Tiere herausfand; zum anderen, ob und wie diese (stets vorläufigen) Ergebnisse im Film aufgegriffen und über das breitenwirksame Medium zur Zirkulation gebracht wurden. So sehr die Ausstellung dabei Tricktechniken und Spezialeffekte mit Wertschätzung präsentiert – sie vermag nicht, wissenschaftliche und populärkulturelle Wissensproduktionen als gleichwertig darzustellen, sondern gibt der Wissenschaft stets den Vorzug. Bereits die Periodisierung und dadurch die Gliederung der Ausstellung entlang der Dinosaurierforschung markiert diese als die maßgebliche Diskursebene. Immer wieder geht es zudem auch darum, wie sich von der Forschung abgelegte – und damit implizit als ‚falsch‘, überkommen und schlichtweg unmodern markierte – Vorstellungen von Dinosauriern auf der Leinwand hielten oder erst aufgrund filmtechnischer Erfordernisse in die Welt kamen und nachhaltig in die breitere Öffentlichkeit diffundierten. So zeigten Filme jahrzehntelang Dinos mit herabhängendem Schwanz, einzig, weil dieser in der Stop-Motion-Technik als Stabilisator zweibeinig agierender Dinosaurier dringend erforderlich war – der gängigen naturwissenschaftlichen Forschungsmeinung lief dies indes zuwider. Mit dem Farbfilm setzte sich für Jahrzehnte auch die Idee eines „indifferenten ‚reptilgraugrün‘“ (sic!) durch, während heute davon ausgegangen wird, dass es die Urzeittiere in unterschiedlichsten Farben gab. Zudem vermischten Filme nicht selten Dinosaurier, die zu verschiedenen Zeitaltern die Erde bevölkerten. Die Filme und ihre Techniken trugen also zu einem erheblichen Teil zu dem Bild bei, das breite Öffentlichkeiten von Dinosauriern hatten und haben. Die Ausstellung lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass als ‚korrekte‘ Vorstellungen von den Urzeittieren jene gelten müssen, die wissenschaftlich begründet sind.
1 O. A.: „Kinosaurier”-Macher hoffen auf baldige Ausstellungseröffnung, 11.03.2021. https://www.sueddeutsche.de/kultur/ausstellungen-hannover-kinosaurier-macher-hoffen-auf-baldige-ausstellungsoeffnung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210311-99-779219 (27.07.2021).
2 Naturhistorisches Museum Wien: KinoSaurier. Fantasie und Forschung. 20. Oktober 2021–18. April 2022. Sonderausstellung in den vier Kabinetten und zwei Sonderausstellungssälen. https://www.nhm-wien.ac.at/kinosaurier (27.07.2021).
3 Die damalige Forschung und ihre Funde wurden jüngst historisiert. So wurde 2015 bis 2018 am Museum für Naturkunde in Berlin ein Projekt durchgeführt, das ebendiesen Brachiosaurus brancaials politische, wissenschaftliche und populäre Ikone von der Zeit der Ausgrabung bis in die Gegenwart in den Blick rückte. https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/wissenschaft/dinosaurier-berlin (26.07.2021).
4 Der Kinofilm basiert auf der Fernseh-Zeichentrickserie „The Flintstones“, die 1960 bis 1966 erstmals ausgestrahlt wurde. Vgl. Familie Feuerstein. https://de.wikipedia.org/wiki/Familie_Feuerstein#Kinofilme (28.07.2021).
Annika Wellmann ist freie Historikerin und Kuratorin. Sie promovierte mit einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit zur medialen Sexualberatung im späten 20. Jahrhundert. Wissenschaftliche Tätigkeiten erfolgten am Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, an der Technischen Informationsbibliothek in Hannover und an der Zentralen Kustodie der Georg-August-Universität Göttingen.
Der Beitrag wurde redaktionell von Klara von Lindern (geb. Wagner) betreut.
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