von Daniela Döring und Johanna Lessing
Was bisher geschah
Jede Zukunft hat eine Vergangenheit und jedes Remake eine Vorlage. Im Jahr 2021 lasen wir das Buch Das Museum der Zukunft, herausgegeben von schnittpunkt und Joachim Baur, das 50 Jahre nach dem Erscheinen eines gleichnamigen Bandes, eine neue Zukunft für Museen entwerfen will. Die Herausgeber:innen versammelten – wie schon die Publikation 1970 – 43 Beiträge, die nicht nur zukünftige Visionen des Museums diskutieren, sondern auch die Relevanz und Funktion des Museums für mögliche gesellschaftliche Zukünfte ausloten. Formal deutlich vielfältiger als ihr Vorgänger sind nunmehr neben Gegenwartsanalysen und programmatischen Texten auch künstlerische Collagen, Interventionen, Utopien und Fotogeschichten enthalten.
Verheißungsvoll erschienen uns Titel wie „corpus (non) delicti“, „Museum am Mond“, „auf_hören“ oder „Free your mind“. Wir – das waren Farina Asche, Lisa Ludwig, Sonja Nökel, Johanna Strunge, Daniela Döring und Johanna Lessing – arbeiteten uns durch die Texte. Unsere Diskussionen waren lebhaft, aber zuweilen auch frustrierend. Warum blieben die meisten Texte so programmatisch und vernünftig, die Zusammenschau so einheitlich, die Argumente so wabbelig? Wo steckten die visionären Entwürfe, die alternativen Welten, die Aliens oder ganz einfach überraschende Vorschläge und Ideen? Lag das am Thema, an den Autor:innen, am Musealen oder vielleicht an uns Leserinnen? Oft genug kamen uns mehr Fragezeichen, mehr Bekanntes und mehr Klischees entgegen als uns lieb war. Denn hier ging es nicht nur um die Zukunft des Museums, sondern auch um unsere Zukunft als Museumswissenschaftlerinnen. War die Zukunft in der Zwischenzeit stecken geblieben?
Um das herauszufinden, mussten wir mehr über den originalen Band wissen. Wir suchten also Aufklärung in der Vorlage, den Texten zur Zukunft des Museums von 1970. Wir hofften auf eine Erleuchtung dieser schwammigen Gegenwartstexte; auf historische Vorbilder oder Brüche, oder eben auf Aliens. Dabei machten wir so manche Entdeckung. Zunächst: „Die Zukunft des Museums“ aus den 1970er Jahren war nicht nur ein Buch, sondern gleich drei! Während der Herausgeber Gerhard Bott im ersten Band namhafte Protagonist:innen (fast ausschließlich Männer!) einer Kunst- und Bildungselite zu Wort kommen lässt, sprechen im zweiten Band vor allem Direktoren von naturwissenschaftlichen Museen. Der dritte ergänzt die Debatten um zwei Briefe und weitere Diskussionsbeiträge. „Nie zuvor in der Geschichte des Menschen“ so konstatiert etwa der Direktor des Coburger Naturkundemuseums Georg Aumann, „ist die Frage nach der Zukunft von so ungeheurer Faszination gewesen, wie gerade heute“ (Aumann 1970: 17). Vermutlich hätte er es sich nicht träumen lassen, dass seine Diagnose heute so zutreffend wie uneingelöst und – noch steigerungsfähig ist.
Nun wollten wir es wissen: worin unterscheiden sich die Visionen von 2020 und von 1970? Welche Vorschläge sind umgesetzt worden, welche in Vergessenheit geraten? Wer darf überhaupt über die Zukunft des Museums sprechen und welche Stimmen und Themen kommen nicht zur Sprache? Wir haben unsere Lektüreerfahrung als Serie verarbeitet. In drei Staffeln führen wir Sie durch die Höhen und Tiefen unserer Diskussion. Eine Preview folgt hier.
Staffel 1: Geschichte der Zukunft
Diese Staffel nimmt die historischen Bände unter die Lupe und zieht dabei auch Verbindungen zum aktuellen Band.
1) 99 Esel und ein Direktor. Die Autoren des alten Bandes geben sich freimütig als Museumsfachmänner einer weißen, bürgerlichen Kulturelite zu erkennen. Im neuen Band ist das vertrackter: Lässt sich die alte Elite überwinden?
2) Crisis? What crisis? Gesellschaft ist permanent im Wandel, Museen müssen darauf reagieren, sie dürfen nicht stillstehen! Doch welche Krisen sollten gelöst werden? Welche Veränderungen wurden gefordert? Und was hat sich seither getan?
3) Technik als Lösung oder Technik als Problem? Damals wie heute hinkt das Museum der technisch-medialen Entwicklung hinterher. Ist der Wettlauf mit der Zeit zu schaffen? Sind Medien eine Gefahr oder gar die Rettung für das Museumserlebnis?
4) Museum mit Schwimmbad. Auch in den 70er Jahren träumte man davon, einst weniger arbeiten zu müssen. Für mehr Freizeit brauchen wir größere Museen: mehr Parkplätze, unbedingt Cafés, integrierte Kinos, Jugendräume und: ein Schwimmbad! Was ist aus dieser Vision geworden?
5) Nach uns die Sintflut. Von Umweltzerstörung, Klimawandel und Fridays for Future. Und was hat das Museum damit zu tun?
Staffel 2: Gegenwärtige Zukunft
Die zweite Staffel widmet sich dem aktuellen Band von 2020 und nimmt Rückblenden auf die historischen Bände vor.
6) Arbeitsplatz Museum. Erstaunlich selten ist davon die Rede, wer im Museum arbeitet und unter welchen Bedingungen. Doch sind gerade die Strukturen der Institution entscheidend für Veränderungen. Wie wollen wir im Museum arbeiten? Und wieviel Leben steckt im Arbeiten?
7) Neoliberale Marktzonen. In den 1970er Jahren hält der Neoliberalismus Einzug im Museum. Heute regiert er überall. Auch die Kritik am Museum ist in den Institutionen angekommen und zum Teil der Selbstdarstellung und Vermarktung geworden. Wie sich das auswirkt? Follow us now…
8) Alles Kunst?! Während auf den ersten 1970 publizierten Band für Kunstmuseen ein zweiter für technische und naturkundliche Museen folgte, bildet auch heute das Kunstmuseum die unhinterfragte Folie für das Museum schlechthin. Warum es nach wie vor der ideale Prototyp ist und was die Kunst verspricht, lüftet diese Folge.
9) Mehr davon. Es ist viel von Transformation die Rede. Doch Veränderung beginnt nicht erst morgen. Wo sind die Beispiele, die jetzt schon Neues wagen, Konventionen brechen und neue Visionen schaffen? Wir zeigen es euch.
10) Weniger davon. Ein Museum auf dem Mond gründen? Ein Containerschiff als mobiles Museum? Brokkolianbau im Museumsgarten? Und gleich vor Ort in Doppelstockbetten wohnen? Bitte nicht!
Staffel 3: Zur Zukunft der Zukunft
Die dritte Staffel beschäftigt sich damit, welches Potential für Veränderungen das Nachdenken über mögliche Zukünfte birgt und wo es stecken bleibt.
11) Utopie als Klebstoff. Utopien sind unterhaltsamer als Dystopien, sie lösen Denkblockaden und machen Mut. Doch so mancher utopische Entwurf entpuppt sich als naiv und irgendwie klebrig.
12) Museum als Heilung. Museen sind in koloniale Gewalt- und Unrechtsgeschichte verstrickt. Wie lässt sich mit Unbehagen und Schmerzen umgehen, wie darüber sprechen, ohne die Machtverhältnisse zu reproduzieren? Schaut hier, ob das „therapeutische“ Museum aus dem Dilemma helfen kann…
13) Das Museum abschaffen. Wenn es so fundamental kritisiert wird, wozu brauchen wir das Museum überhaupt noch? Einige Aktivist:innen fordern: „tear it up and turn it upside down“. Das kommt in den Büchern allerdings nicht vor. Kommt mit auf die Suche nach dieser und weiteren Leerstellen…
14) Die Universalismusfalle. Weder gibt es EIN Museum, noch EINE Zukunft. Wie aber lässt sich dann über Museumsvisionen sprechen? Wie nah oder fern liegen eigentlich die Zukünfte?
15) Retten, was zu retten ist. Während wir nach tollen Entwürfen für die Zukunft suchen, verlieren wir die Gegenwart aus den Augen. Der Blick in die Zukunft verhindert eine Analyse im Hier und Jetzt. Lässt sich der Arbeit mit der Zukunft dennoch etwas abgewinnen?
Das Erscheinen der einzelnen Folgen ist noch nicht terminiert, aber gewiss! Abonnieren Sie unseren Blog und erfahren Sie, was aus der Zukunft des Museums in Zukunft wird!
Zum Weiter- und Nachlesen:
Bott, Gerhard (Hg.): Das Museum der Zukunft. 43 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums [Bd.1]. Köln 1970.
Bott, Gerhard (Hg.): Das Museum der Zukunft. 14 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des naturwissenschaftlichen Museums, Bd. 2, Festschrift zur 150-Jahrfeier der Verkündung der Stiftungsurkunde des Hessischen Landesmuseums, Darmstadt, 1820 – 1970. Darmstadt 1970.
Bott, Gerhard (Hg.): Das Museum der Zukunft. Zwei Briefe und weitere Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums, Bd. 3, Festschrift zur 150-Jahrfeier der Verkündung der Stiftungsurkunde des Hessischen Landesmuseums, Darmstadt, 1820 – 1970. Darmstadt 1970.
schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis/ Baur, Joachim (Hg.): Das Museum der Zukunft. 43 neue Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums. Bielefeld 2020.
Zu den Autorinnen:
Daniela Döring ist Postdoktorandin am Kolleg “Wissen | Ausstellen”. Sie untersucht aktuelle Ausstellungen akademischer Sammlungen und wissenschaftlicher Praktiken.
Johanna Lessing ist Doktorandin am Kolleg “Wissen | Ausstellen“ und erforscht die Ausstellbarkeit von menschlichen Überresten in wissenschaftlichen Sammlungen.
Der Beitrag wurde redaktionell betreut von Johanna Strunge, Doktorandin am Kolleg „Wissen | Ausstellen“.
Fotos: Sonja E. Nökel
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